D'ANNUNZIO, MUSSOLINI UND DER LAGO DI GARDA
(ein paar faschistische Reisetips)

 

 
vergroessern

Dreieinhalb bis vier Stunden südlich von München gelegen, kann ich mir kein idealeres Erholungsgebiet vorstellen, als die Region um den Gardasee. Nur muß man auch hier die Spreu sehr sorgsam vom Weizen trennen. Die Auswüchse gewöhnlicher Massentouristik halten sich weitgehend in Grenzen, lassen sich bisweilen ignorieren oder geschickt umfahren. Die Geister scheiden sich, und die Wege trennen sich ganz einfach schon dadurch, daß der durchschnittliche Tourist kein Genießer, sondern Schnäppchenjäger ist und auf jene Sonderangebote reagiert, die uns der gute Geschmack verbietet. Recht grob gesagt, kann man die Region in zwei Hälften teilen: Von Norden kommend, haben wir da das Ostufer, an welchem entlang sich die Wellen des allgemeinen Tourismus brechen. Viel Plastikmobiliar, reichlich Sonderangebote und wenig Besonderes. (Mal abgesehen von ein paar historischen Oasen, oder dem verträumten ST. VIGILIO) Alles in allem, zu viele Freizeitsportler, die hier ihren verschweißten Ausgleich zu ihrem Büroleben in den Medienberufen suchen und hier per Fahrrad oder Surfbrett die Herausforderung suchen. Wer aber schon mal auf der Ostseite fährt und ein kleines Idyll genießen möchte, besucht das herausragende Kleinod ST. VIGILIO, stellt den PKW oben auf dem Parkplatz ab und spaziert, am besten in angenehmer Begleitung, bergab. In der am steinernen Steg gelegenen Restauration lassen sich teure Getränke und kleine Speisen ordern, die alle ihr Geld und das Sitzen im Freien wert sind. Nebenan, im höher gelegenen Edelrestaurant wird es dann zwar extra teuer, dafür aber angenehmst exklusiv. (Noch mal Dank an Thomas R. für den wirklich guten Fisch.) Das Restaurant empfiehlt sich für die Abendstunden.

St. Vigilio von hinten 1938

Mehr als ST. VIGILIO muß man jetzt nicht unbedingt gesehn haben, am östlichen Ufer. TORBOLE und RIVA sind die Einfallstore zum Gardasee. Das grobe Volk bleibt, Gott sei Dank, meist schon in TORBOLE kleben und beißt oder säuft sich dort fest. Auch hier zuviel Sportler, zuviel kurze Hosen und Partyvolk. Wen es von den grob Gesonnenen dann doch weiter ziehen sollte, in Richtung der goldenen Westseite, kann möglicherweise noch einmal von RIVA gestoppt und aufgesaugt werden. An sich eine wirklich hübsche, kleine und sehr romantische Stadt, wirkt RIVA aber immer noch zu sehr wie ein Auffangbecken für alles, was möglichst nicht weiter gen Westen vorrücken sollte. Auch wenn die Lokalitäten nicht verkehrt sind und an kulinarischen Reizen nicht geizen, spätestens, wenn Eure Pizza auf dem Tisch steht und Eure Konversation anheben möchte, im Anblick mediterraner Gaumenfreuden, setzt von mehreren Euch umgebenden Fronten ein Sperrfeuer verschiedenster handbetriebener Musiken ein, die zusammengenommen eben jene große Dissonanz ergeben, die einem das Geschmacksempfinden verdunkeln. Im Verlaufe einer Pizza wirst du dort verschiedenerseits so oft zur Kasse gebeten, daß du, sowohl das Gemisch der musikalischen Darbietungen, als auch das Gemisch der Dreistigkeit, mit welcher man dir zu nahe kommt, nur mit dem Eigengemisch an Arroganz und Unnahbarkeit beantworten kannst. Vollends zuviel der Aufdringlichkeit wird es aber, wenn unmittelbar nach Abzug aller Musikzüge, die um dein Kleingeld buhlten, der resozialisierte Stadtjunky Rivas Euch seine Schlüsselanhänger mit Taubstummengestik und mehrsprachigem Beipackzettel auf den Tisch knallt, um dann seine Kassierrunde zu drehen. Diese Geschäftstüchtigkeit kennt nicht die Grenzen der Privatsphäre, die jemand, der kein Massenmensch ist, einen Meter achtzig um sich herum gewahrt wissen möchte. Besonders in diesem aufdringlichen Fall sollte man seinen Unmut mit deutlicher Gestik zum Ausdruck bringen. Mitleid ist hier fehl am Platz. Ein gewisser Abstand gehört einfach eingehalten und gerade beim Essen, der Unterhaltung und dem Aufgehen in mediterraner Stimmung möchte man weder Schmeißfliegen noch Unästheten um seine Pizza oder den Rotwein schwirren sehen. Soviel zu RIVA. Dem Tor, das uns die Westseite eröffnet.

1938
 

Erste nennenswerte Ortschaft wäre dann LIMONE, welches wir, genau wie CAMPIONE, den älteren Semestern zum Zeitvertreib überlassen, Eindrucksvolle Bergkulissen zwar, aber zuviel an German Tourists, deren Buntwäsche einfach mein Stilempfinden beleidigt. GARGNANO hingegen darf zum Verweilen nun wirklich empfohlen werden. Hier ist die Welt soweit noch in Ordnung und das Publikum erträglich. Keine Partymeile, kein Sportlerparadies. Im kleinen, neben dem idyllischen Hafen gelegenen Hotel RIVIERA darf man, trotz Kunststoffmobiliar, doch schon mal eine warme Mahlzeit einnehmen, weil der Holzsteg, auf welchem man über dem Wasser sitzt, mit etwas Kerzenschein beschienen, wirklich atmosphärischen Zauber schafft. Unanfechtbarer Höhepunkt in GARGNANO aber ist das sagenhaft grandiose HOTEL FELTRINELLI, welches man vom Hafen aus in 1,5 Minuten mit dem PKW angesteuert hat. Dort auch nur eine Nacht unterzukommen, dürfte uns unerschwinglich sein, weil die Zimmerpreise von 800.-Euro bis reichlich mehr kosten, aber den Abend oder die Nacht dort ausklingen zu lassen, sollte einem das Ambiente und die Historie des Gebäudes schon wert sein. Ein unvergeßlich guter Whiskey oder Armagnac kosten dort ihre 30-40 Euro pro Glas, dafür werden diese aber auch wirklich in den passenden Gläsern serviert und der Bedienstete zeichnet sich durch die höhere Hotelierschule so sehr aus, daß jegliche Wertigkeit des Aufenthaltes durch wirklich nichts in Frage gestellt wird.

"Rachele Mussolini trommelte anerkennend mit dem Finger den Takt. Es war 5 Uhr nachmittags des 18.April. In der VILLA FELTRINELLI hatte der 18 jährige Romano auf dem Klavier eben "Die schöne blaue Donau" gespielt. Als er plötzlich bemerkte, daß sein Vater (...) eingetreten war, sprang er rasch von dem Drehstuhl auf. Doch Mussolini beschwichtigte ihn: "Nein, Nein! Du brauchst nicht aufzustehen", versicherte er ihm. "Spiel nur ruhig weiter." Und spaßeshalber fügte er hinzu, da Romano ein feuriger Anhänger der Jazz-Musik war: "Seit wann spielst du gerne Walzer?" (...) Weder er noch Rachele betrachteten jedoch Mussolinis Erscheinen zu jener Stunde als Abschied." (Richard COLLIER: "MUSSOLINI, Aufstieg und Fall des Duce"/ Heyne Biographien 1974)

www.villafeltrinelli.com

Es empfiehlt sich, seinen Besuch in der VILLA FELTRINELLI per e-mail oder Telefon vorher anzumelden. Die Zufahrt zum Anwesen, durch den Park, ist meist durch das schmiedeeiserne Tor geschlossen und wird dann, von der Rezeption aus, automatisch geöffnet.
Bei genehmeren Temperaturen gibt es kaum einen stimmigeren, schöneren Platz, als auf der am Seeufer vor der Villa gelegenen Terrasse.

Gardasee 1938

Günstig und trotzdem vortrefflich übernachten läßt es sich 10 Autominuten weiter in MADERNO/ TOSCOLANO (ca. 30 Euro pro Kopf inkl. Frühstück und Swimmingpool), im HOTEL SORRISO, das mit seinen zwei Sternen durchaus zu glänzen weiß (via religione 5) www.hotelsorriso.de. Wer geneigt ist, mit PKW den See auf der Fähre zu überqueren, kann das gleich von MADERNO aus tun und landet dann in TORRI so günstig, daß er von dort, nach rechts biegend, per Katzensprung in ST. VIGILIO ist. Nächste Station aber auf der Westseite sollte dann definitiv GARDONE sein, wo sowohl die D'ANNUNZIO VILLA "VITTORIALE", als auch das GRAND HOTEL um Eure Aufmerksamkeit bitten.

Vittoriale

Was der gute Benito dem exzentrisch genialen Gabriele D'ANNUNZIO seinerzeit an Bausubstanzen genehmigt und hingestellt hat, auf Staatskosten, das kann sich wohl sehen lassen. Und bevor es zum Kaffeegenuß ins GRAND HOTEL geht, muß man VITTORIALE gesehen und erlebt haben, von innen und außen. Eine knappe Stunde und mehr sollte man für diesen Besuch schon einplanen. Die Eindrücke wirken bereichernd auf das aristokratische Herz, und bis man endlich auf dem Mausoleum zu Stehen kommt, mit freiestem Blick über den See, hat diese eigene kleine Welt D'ANNUNZIOS sich schon so weit in deiner Erinnerung verankert, daß du reicher, als du gekommen bist, wieder gehst. Hier ist das Mischungsverhältnis, das zur Vergöttlichung ruft, mehr als stimmig. Eros, Faschismus, Militanz, Schönheit der Kunst, Poesie und die legitime Gewalt der Waffen, die hier in sich ruhen, ergeben einfach ein Ganzes. Im Außenbereich von VITTORIALE lassen sich an einem Verkaufsstand herrliche kleine Devotionalien erwerben, die, laut der Betreiberin, bisher nur von Deutschen als "unmöglich" kritisiert wurden. Das meiste davon ist in Deutschland eh verboten, aber, trotz stärkster Nähe zum Souvenir-Kitsch, teils recht originell.

Josef, Raymond und
in der Mitte erhöht
D'Annunzio
- Vittoriale 2004

Anschließend nun hat man sich den Kaffee im GRAND HOTEL wirklich verdient, und der gute Geschmack alleine verbietet es einem, das Kaffee-Ritual an einem weniger exklusiven Ort zu zelebrieren. Direkt an der Uferpromenade, in unmittelbarer Nähe der Anlegestelle für die Fähre, die hier regelmäßig andockt, ragt also das GRAND HOTEL wirklich massivst in das Erscheinungsbild der Ortschaft und läßt seinem Magnetismus freies Spiel.

Grand Hotel Gardone

Die besseren Zeiten, die das Hotel erlebt hat, müssen wohl um 1900 gelegen sein, weil damals, zu jener besseren Zeit, auch das Publikum ganz und gar hochkarätiger Natur war. Ein wenig traurig mutet es, daß, in Anbetracht der ältesten englischem Semester, die dort meist verkehren, Assoziationen zu einem Sanatorium oder ehrwürdigen Altenheim entstehen. Die Grundstimmung, die sich hier bei aller Schönheit der Aussicht und des Ambientes einstellt, korrespondiert mit einem Gefühl von Traurigkeit. Der lebendige, aber sehr stille Geist des Hotels scheint sich der unbelebten Wirklichkeit zu entziehen und wirkt ganz so, als halte er mit geschlossenen Augen eben Rückschau auf die Zeiten alter Größe und Pracht und zehre nur von dem Leben der Künstler und Prominenzen, welche dort Gast waren, vor zu langer Zeit. Alles wirkt immer wie vorher oder nachher, so als sei man selber gerade zu früh oder spät gekommen. Die Gegenwart wird nicht wirklich faßbar. Das Haus befindet sich in Trauer, in glänzender Trauer.

 
Winnies Bar / Grand Hotel / Gardone

Ab 23.00 ca. lohnt sich der Besuch in der Bar des Hauses. "Winnies Bar" getauft, in Anlehnung an Winston CHURCHILL und zur Kompensierung der faschistischen Note im Ort und als kleiner Tribut vielleicht, an die meist englischen Gäste. Der Service hier ist erstklassig - die Barkeeper machen nicht nur etwas her, sondern überzeugen durch professionellsten, souveränsten Auftritt. Die Drinks sind teuer und ihr Geld wert. Das Ambiente läßt kaum zu wünschen übrig, ein wenig zu sehr 70er Jahre und Wohnstubenmobiliar, im Ganzen aber stimmig. Star jeden Abends und jeder Nacht, ist der begnadet virtuose Instrumentalist, dessen Darbietungen alter und weniger alter Klassiker so hervorragend interpretiert dargeboten werden, daß die Musik, in Verbindung mit einem Whiskey, einem bezaubernde Stimulanzien erzeugt. Echte Weltklasse der Mann am Piano, am Vibraphon, der Trompete und dem Gesang. Seit 17 Jahren, fast jede Nacht. Aber auch hier, in den schönsten Momenten, liegt jenes traurige Grundgefühl immer mit in der Luft, welches sich in ähnlicher Weise z.B. auf der "WHAT ENDS WHEN THE SYMBOLS SHATTER"- CD von DEATH IN JUNE, so unterschwellig entfaltet. Das mag an der Trompete liegen, oder eben an der Traurigkeit des Hauses darüber, daß ein Empfinden für den guten Geschmack und die Menschen, für die ein solches Hotel einst erbaut wurde, weitgehend ausgestorben sind. Arnold BÖCKLIN residierte seinerzeit im GRAND HOTEL, und man sagt, seinem Gemälde "DIE TOTENINSEL" habe ST.VIGILIO Modell gestanden. Aus meiner Perspektive vom GRAND HOTEL aus möchte ich aber glauben, daß "DIE TOTENINSEL" aus zwei verschiedenen inspirativen Eindrücken heraus resultierte, nämlich zum einen schon der vom See aus betrachteten Perspektive ST. VIGILIOS, zum andern aber eben vom Hotel aus, muß die Ansicht der ISOLA DEL GARDA mit eine Rolle gespielt haben. Nur die Kombination beider Ansichten ergibt "DIE TOTENINSEL".

A. BÖCKLIN: Selbstporträt mit Tod

Kurz hinter GARDONE liegt das Städtchen SALO, welches über einen beschaulich angenehmen Brennpunkt verfügt und ebenfalls natürlich am Ufer des Sees gelegen ist. Von dort verwaltete MUSSOLINI zum Ende seiner Herrschaft hin die REPUBLIK SALO, mehr unter HITLERS Aufsicht als in HITLERS Gnaden. Und hinter der Idee der REPUBLIK SALO schien denn auch mehr ein Phantomstaat hindurch und die letzte Verzweiflung MUSSOLINIS, im vergeblichen Ringen um die alte Souveränität. Entsprechend schwer gestaltet sich natürlich die faschistische Spurensuche in SALO. Sehr in der Nähe des Placas aber befindet sich, im Hinterzimmer einer Restauration/Cafe, Bar, eine wahre Anlaufstelle für Undemokraten. Der Raum teilt sich in Museum und Verkaufsraum. Alles, was an original MUSSOLINI- Devotionalien noch irgendwie faßbar werden konnte, ist dort ausgestellt. Waffen, Orden, Bücher, blutbefleckte Textilien, Uniformteile, Helme und reichlich Fotos. Zum Verkauf angeboten werden aber nur fabrikneue Abzeichen, Aufnäher, Kalender, Postkarten und CDs.

Die südlichen Gefilde des Gardasees gehören dann wieder mehr der Unterhaltung und dem Zeitvertreib, der Gegenwart und den Vertretern der Spaßgeneration. Wer aber das gewisse Flair atmen möchte, das unsereins so gerne inspiriert, kommt zwischen GARGNANO und GARDONE sicher nicht zu kurz.

 

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